Weihrauch bei Multipler Sklerose - ist das unser Ernst?
Ja, ist es. Und wir erklären Ihnen gerne warum und wo wir derzeit stehen.
2008 haben wir uns (noch zu der Zeit als Frau Dr. Stürner am UK Hamburg-Eppendorf tätig war) entschieden, eine klinische Pilotstudie zum Einsatz eines standardisierten Weihrauchextraktes auf den Weg zu bringen.
Hintergrund und Ausgangspunkt war, dass in frühen Untersuchungen aus den 1990-ger Jahren ein bestimmtes Enzym, die 5-Lipoxygenase (kurz: 5-LO) in Entzündungsherden im Gehirn von MS-Erkrankten in sehr hoher Konzentration nachgewiesen werden konnte.
Die im Weihrauch enthaltenen Boswelliasäuren hemmen ganz spezifisch die 5-Lipoxygenase - das hatte einige Zeit später Herr Professor Ammon am Universitätsklinikum Tübingen untersucht und nachgewiesen.
Da Weihrauch oral als Tablette eingenommen werden kann und auch eigene Daten aus dem Labor den antientzündlichen Effekt von Weihrauch bei der Multiplen Sklerose nachweisen konnten, haben wir ab September 2011 eine Pilotstudie mit 35 Patienten am UK Hamburg-Eppendorf und an der Charité Berlin durchgeführt.
Die Ergebnisse der Studien hatten wir als zuständige und beobachtende Forscher selbst nicht erwartet: sowohl im MRT (Reduktion der MRT-Krankheitsaktivität der Multiplen Sklerose von ca. 63%) als auch klinisch (weniger Schübe während der Zeit der Einnahme von Weihrauchkapseln) zeigte sich ein deutlicher antientzündlicher Effekt der Weihrauchkapseln auf die Krankheitsaktivität der Multiplen Sklerose und auch im Blut konnten wir Veränderungen nachweisen, die auf eine Krankheitsberuhigung durch die regelmäßige Einnahme der Weihrauchkapseln deuten. Die Studienergebnisse haben insgesamt unsere Annahmen und Erwartungen deutlich übertroffen - erkennbar auch daran, dass wir die Studie nach Antrag und Genehmigung bei den zuständigen Behörden auf expliziten Wunsch der teilnehmenden Patienten von ursprünglich einem Jahr Studiendauer auf insgesamt 3 Jahre Behandlungs - und Beobachtungszeit verlängert haben. Fast alle unserer Patienten haben im Rahmen der Studie 3 x 4 Kapseln mit 400mg Weihrauchextrakt eingenommen, also insgesamt 4800mg Weihrauchextrakt täglich.
Insgesamt bedeuten die Ergebnisse, dass eine größere Phase IIb-Studie gerechtfertigt und notwendig ist. Dazu aber weiter unten noch einmal mehr.
Aber - es war eben nur eine kleine (um die 30 Patienten) und nicht durch ein Scheinmedikament (Placebo) kontrollierte Studie. Bei aller Freude über die guten Ergebnisse muss dies nicht nur erwähnt sondern auch betont werden. Es bleiben viele Fragen auch zur Sicherheit einer hochdosierten Medikation mit Weihrauchpräparaten aktuell weiter offen.
Daher: Bitte führen Sie keine Selbstmedikation mit frei verkäuflichen Weihrauchpräparaten durch!
Erstes Problem: Nahrungsergänzungsmittel und Analysenzertifikate
Weihrauch ist eine Natursubstanz - das bedeutet, dass Weihrauch eigentlich eine Mischung von pharmakologisch aktiven Substanzen und nicht "ein einzelne Wirksubstanz" ist und es bedeutet auch, dass man den Weihrauch selbst nicht als Medikament patentieren kann.
Es gibt im Internet eine Reihe von Anbietern, die Weihrauch als Nahrungsergänzungsmittel anbieten - leider umso häufiger seit der Veröffentlichung unserer Studie. Eine Herstellung und der Verkauf eines Nahrungsergänzungsmittels bedeutet, dass Kapseln oder Tabletten unter weniger strengen Herstellungsbedingungen hergestellt werden, als es im Fall von Medikamenten der Fall ist. Wir möchten hier niemandem unrecht tun - die Herstellung kann durchaus gut sein, aber Medikamente werden nach dem Standard der "good manufacturing practice", kurz auch als "GMP" bezeichnet hergestellt und dies beinhaltet zahlreiche Kontrollen, um höchste Qualität und Sicherheit der Präparate zu gewährleisten.
Die Herstellung von Nahrungsergänzungsmitteln obliegt eben nicht diesen Standards. Weihrauchkapseln bei Multipler Sklerose sind aber eben kein Nahrungsergänzungsmittel, sondern müssen als ein Medikament mit den entsprechenden Ansprüchen an Qualität und Herstellung betrachtet werden. Konkretes Beispiel: In Natursubstanzen können Schwermetalle, Hefen, Schimmelpilze (Aspergillus), Bakterien und andere nicht wünschenswerte krankheitserzeugende Stoffe enthalten sein. Bei der Medikamentenherstellung gibt es hierfür scharfe Richtlinien, Testvorschriften und Kriterien, die verhindern, dass ein Medikament diese gefährlichen Stoffe und Erreger enthält. Im besten Fall sind diese Kriterien bei Nahrungsergänzungsmitteln abgeschwächt, im schlechtesten Fall eben aber nicht vorhanden und werden auch nicht regelhaft kontrolliert. Ein sogenanntes Analysezertifikat für ein Nahrungsergänzungsmittel kann Ihnen bei seriösen Firmen zeigen, ob das Präparat überhaupt auf schädliche Stoffen wie die oben genannten getestet worden ist.
Ein weiteres Problem ist - wie stellt man bei einem Naturprodukt sicher, dass immer die gleiche Menge an Wirkstoff in jeder Kapsel ist? Denn ein Baum bekommt in einem Jahr genug Regen, im nächsten nicht......alle Umweltfaktoren beeinträchtigen das Wachstum und somit auch das Harz und letztendlich auf diese Weise die Qualität des Weihrauches. Die wenigsten Nahrungsergänzungsmittel legen hier Wert auf eine Standardisierung der Weihrauchdarreichung, die aber für ein Medikament und vor allem eine Behandlung unabdingbar ist.
Daher suchen wir zurzeit eine Firma, die mit uns gemeinsam ein sicheres standardisiertes Weihrauchpräparat unter GMP-Bedingungen für Multiple Sklerose Patienten herstellen und weiterentwickeln möchte.
Zweites Problem: Estragol und dessen ungeklärte Toxizität
Weihrauch enthält neben den bioaktiven Boswelliasäuren das Alkenylbenzol Estagol, dies ist ein aromatischer Bestandteil ätherischer Öle. Estragol ist nicht nur ein natürlicher Bestandteil des Weihrauchharzes, sondern auch von anderen Kräutern und Gewürzen wie Basilikum, Fenchel, Anis und Estragon.
Bei Verwendung von Estragol als Einzelsubstanz in sehr hohen Dosierungen kam es in Tierversuchen zu Lebertumoren und krebsfördernden Schäden an der Erbinformation (DNA). Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat 2020 eine Richtlinie zu Estragol und die Aufforderung herausgegeben, den Estragolgehalt in Lebensmitteln und pflanzlichen Arzneimitteln zu senken.
Hinweise auf eine direkte krebsfördernde (kanzerogene) Wirkung beim Menschen liegen bisher nicht vor, insbesondere da Daten aus klinischen Studien oder Untersuchungen im Menschen bisher nicht verfügbar sind. Auch unterscheiden sich die Stoffwechsel und somit biochemischen Abbauwege von Estragol bei Nagetieren und Menschen maßgeblich. Jedoch ist die krebsfördernde Wirkung bei Nagetieren eindeutig und dosisabhängig.
In der Empfehlung der Europäische Arzneimittel-Agentur von 2005 wird aufgrund der eindeutig dosisabhängigen Effekte von Estragol eine Tagesdosis von 1 bis 10mg/kg Körpergewicht im Tier, dies entspricht 0,14 mg/kg bis 1,43 mg/kg Körpergewicht als beim Menschen unbedenklich angesehen. Diese Dosis liegt geschätzt weit (100-1000fach) über den vom Menschen mit der Nahrung aufgenommenen Estragolmengen. Jedoch ist gerade in Nahrungsergänzungsmitteln der Estragolgehalt nicht regelhaft angegeben und muss in Weihrauchprodukten als relevant eingeschätzt werden. Auch hier gilt: weitere Untersuchungen sind erforderlich und dringend erwünscht, wenn Weihrauch als Medikation bei Multipler Sklerose weiterentwickelt werden soll, um eine eventuelle schädliche Wirkung von Estragol verhindern zu können.
Weihrauch bei Multipler Sklerose - wie kann es weiter gehen?
Die Ergebnisse unserer Pilotstudie waren sehr ermutigend - wir möchten daher weiter untersuchen, ob Weihrauch insbesondere für mild betroffene Multiple Sklerose - Patienten eine Therapieoption wäre.
Für z.B. eine zweijährige placebokontrollierte Studie, in deren Rahmen von 3 Patienten 1 Patient für 12 Monate ein Scheinmedikament, d.h. Placebo und 2 Patienten zur gleichen Zeit Weihrauchkapseln erhalten müssten ca. 220 Multiple Sklerose Patienten , die (noch) Schübe haben teilnehmen. In dieser bisher nur geplanten Studie würden 147 Patienten von 220 Patienten Weihrauchkapseln und kein Placebo erhalten. Allen Patienten würde nach 12 Monaten die Einnahme von Weihrauchkapseln auf freiwilliger Basis angeboten werden.
Die Kosten einer solchen Studie belaufen sich auf ca. 2 Millionen Euro, also 10.000 Euro pro Patient für einen Studienzeitraum von 2 Jahren (oder umgerechnet 415 Euro monatlich pro Patient). Das klingt nach einer großen Summe, ist aber wenig im Vergleich zu den Kosten einer industriegesponserten klinischen Studie (deren Budget etwa 4-5 mal so hoch ist).
Aktuell suchen wir nach Fördermöglichkeiten für die Realisierung dieses Projektes - wie Sie sich aber sicher vorstellen können, gibt es nur wenige Fördermöglichkeiten für solche Projekte und diese sind wiederum "heiß umkämpft" - oft treten wir dann mit z.B. Herzinfarkt-Studien oder anderen großen Volkskrankheiten in der Bewerbung um Förderung in Konkurrenz.
Aus unseren bisherigen Erfahrungen mit Antragsstellungen und Fördermöglichkeiten für eine neue und große Phase IIb Studie mit einem Weihrauchpräparat haben sich zwei wichtige Fragen ergeben, zu denen wir gerne Ihre Meinung wissen möchten:
Für jegliche Hinweise auf weitere Fördermöglichkeiten oder mögliche Spender, die mit uns ins Gespräch gehen möchten sind wir dankbar. Kontaktieren Sie uns gern - auch wenn Sie noch weitere Fragen zum Thema Weihrauch bei Multipler Sklerose haben.
Und wenn Sie mehr wissen wollen:
Der Link zum Podcast zum Thema Weihrauch und Multiple Sklerose mit Nele Handwerker (MS-Perspektive)
Und wer noch einmal alles zur veröffentlichten Studie wissen möchte - hier das Interview mit den Kollegen des JNNP: