Die Verdachtsdiagnose einer Multiple Sklerose zu erhalten ist oft ein Schock und löst neben vielen Fragen auch Ängste und Befürchtungen aus.
Viele Betroffene suchen als erstes Informationen im Internet - und finden dort neben guten Informationen auch viele Halbwahrheiten. Wir wollen hier gerne versuchen, Ihnen eine Einschätzung und hoffentlich die eine oder andere hilfreiche Information in dieser besonderen Situation zur Verfügung zu stellen.
Frage 1: Was ist Multiple Sklerose?
Multiple Sklerose ist eine entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems im Sinne einer Autoimmunerkrankung, d.h. das eigene Immunsystem wendet sich gegen den Körper. Im Fall der Multiplen Sklerose wendet sich das Immunsystem konkret gegen Myelin, also die "Kabelisolationsschicht" der Nervenzellen. Durch diesen Angriff auf die eigenen Nervenzellen werden die Nervenzellen in ihrer Funktion gestört und geschädigt. Der Körper selbst kann diese Schädigung aber in vielen Fällen wieder reparieren und/oder kompensieren - insbesondere zu Beginn der Erkrankung.
Frage 2: Welche Beschwerden verursacht eine Multiple Sklerose?
Die Beschwerden, die bei einer Multiplen Sklerose auftreten sind sehr vielfältig. Häufig und typisch sind Gefühlsstörungen (Taubheitsgefühle, Störungen des Temperaturempfindens, schmerzhafte Mißempfindungen), Sehstörungen (Verschwommensehen, Nebelsehen, Doppelbilder), Lähmungen (Kraftminderung), Gangstörungen (unsicheres Gehen, Kraftlosigkeit), aber auch eine extrem verstärkte Erschöpfbarkeit bzw. Ermüdbarkeit, die sogenannte "Fatigue" oder Störung der Blasen- und/oder Mastdarmfunktion. Wichtig ist auch: natürlich treten nicht alle Symptome gleichzeitig auf, oft ist nur eines von ihnen zur Zeit vorhanden.
Frage 3: Wie diagnostiziert man eine Multiple Sklerose?
Die Multiple Sklerose ist eine Erkrankung, die durch einen erfahrenen Facharzt für Neurologie diagnostiziert werden kann und sollte - denn sie ist eine Ausschlussdiagnose. Das bedeutet, dass es keinen Wert aus dem Blut oder einen anderen Parameter gibt, der eine Multiple Sklerose 100%-ig beweist. Vielmehr braucht es eine Kombination von Untersuchungen, die Befunde zeigen, die nur durch eine Multiple Sklerose erklärt werden können und die gleichzeitig nicht durch eine andere Krankheit erklärt sind.
Zu diesen für eine Diagnosestellung einer Multiplen Sklerose erforderlichen und empfohlenen Untersuchungen gehört:
- ein neurologisches Arztgespräch und eine neurologische Untersuchung
- eine Magnetresonanztomographie des Gehirns ("cerebrales MRT")
- eine Magnetresonanztomographie des Rückenmarks ("spinales MRT" oder "Myelon MRT")
- eine Untersuchung des Nervenwassers ("Lumbalpunktion")
- sogenannte elektrophysiologische Untersuchungen (somatosensorisch evozierte Potentiale, visuell evozierte Potentiale, motorisch evozierte Potenziale) zur Überprüfung der Leitfähigkeit zentralnervöser Nervenbahnen
Die Diagnosestellung selbst sollte durch einen Facharzt für Neurologie erfolgen anhand der aktuell gültigen Diagnosekriterien.
Frage 4: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die Kriterien für die Diagnosestellung einer Multiplen Sklerose zutreffen?
Grundsätzlich gilt: eine Multiple Sklerose ist eine chronische Erkrankung, die aktive und inaktive (ruhige) Krankheitsphasen hat. Es gibt jedoch auch entzündliche Erkrankungen und sogar autoimmun entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems, die nur einmal und dann nie wieder auftreten. Um dies zu unterscheiden muss sich für die Diagnose einer Multiplen Sklerose beweisen lassen, dass die Krankheit in Raum und Zeit verteilt oder wie man auch sagt "disseminiert" ist. Ist dies der Fall handelt es sich nämlich nicht mehr um ein einmaliges und einzeitiges Ereignis. Über die Jahre sind die Diagnosekriterien einer Multiplen Sklerose immer wieder verändert worden - allerdings galt und gilt immer noch das Prinzip der Verteilung in Zeit und Raum. Konkret bedeutet dies: Für die Diagnose einer Multiplen Sklerose braucht man
(1) ein klinisches Schubereignis
(2) eine Mindestanzahl an entzündlichen Veränderungen in der Magnetresonanztomographie des Gehirns und des Rückenmarks (als absolutes Minimum 2 entzündliche Läsionen) und
(3) den Nachweis der Verteilung in der Zeit - entweder durch ein zweites Schubereignis, oder durch den Nachweis abgeheilter (also "alter") und frisch entzündlicher (in der MRT-Bildgebung erkennbar als kontrastmittelanreichernde) Läsionen oder durch den Nachweis von oligoklonalen Banden im Nervenwasser (letzteres ist ein Ersatzkriterium, das erst seit 2017 verwendet werden darf).
Ohne ein klinisches Schubereignis oder mit nur einer einzigen entzündlichen Läsion ist also die Diagnose nicht zu stellen!